Was Fußball und Triathlon voneinander lernen können – Interview mit Christian Weich

Fußball und Triathlon. Passt das zusammen? Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Sportarten kennt der Trierer Athletiktrainer Christian Weich.

Stuttgarter Kickers (Foto: Nora Reim)
Stuttgarter Kickers (Foto: Nora Reim)

Wenn ein Mittelfeldakteur wie Bastian Schweinsteiger im EM-Spiel der Deutschen Nationalmannschaft durchschnittlich elf Kilometer in 90 Minuten zurücklegt, erscheint uns Triathleten das zunächst wenig.

Doch der Schein trügt, denn: Im Gegensatz zu normalen Läufern legen Jogis Jungs die Strecke nicht am Stück zurück, sondern in zahlreichen Sprints mit dem Ball. Dazu kommen Geh- und Rückwärtsbewegungen auf dem Spielfeld, andauerndes Traben und Tempo-Läufe. Plötzliche Richtungswechsel …

Somit gleicht ein Fußball-Spiel mehr einem Fartlek oder gar ausgedehnten Intervall-Training. Sind sich Kicker und Dreikämpfer also näher als gedacht? Können wir gar von den Fußballern etwas lernen, um unser Training besser zu machen?

Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Sportarten kennt der Trierer Athletiktrainer Christian Weich.

Triathlon-Tipps: Sixpack, starke Arme und schnelle Beine haben in der Regel sowohl Fußballer als auch Triathleten. Welcher von beiden ist der komplettere Athlet und warum?

Weich: Jede Sportart hat die Berechtigung einen Spieler oder Athleten als „komplett“ zu bezeichnen. Im Fußball finde ich diese Wertung angebracht, wenn ein Spieler über mehrere Monate oder gar Jahre eine gewisse Konstanz aufweist. Diese definiere ich über eine hohe Leistungs- und Entwicklungsbereitschaft, sowohl als Einzelspieler als auch als Teamplayer, geringe Ausfallzeiten durch Krankheit oder Verletzung sowie ein gutes bis sehr gutes, aber auch ausgeglichenes Niveau aller konditioneller Fähigkeiten, die dieser Ballsport abverlangt. Bei Spielern mit Weltklasse-Niveau wie Christiano Ronaldo kommt dann in der Regel noch eine „Spezialfähigkeit“ dazu – etwa eine überdurchschnittliche Erfolgsquote bei Standardsituationen.

Athletiktrainer Christian Weich (Foto: Privat)
Athletiktrainer Christian Weich (Foto: Privat)

Im Triathlon-Bereich umfasst die Ausrichtung der Saison dagegen deutlich weniger Wettkämpfe, häufig sogar nur einen Hauptwettkampf wie ein Ironman-Rennen. Daher liegt es nahe, die Vorbereitung auf eben diesen auszurichten. Nur wer am Tag X fit ist, kann eine herausragende Leistung bringen – egal, ob dies ein Finish oder ein Olympia-Sieg ist. Das erfordert neben einer sehr detaillierten Planung und Durchführung des Trainings mit entsprechenden Be- und Entlastungsphasen auch eine hochentwickelte und möglichst ausgeglichene Leistungsfähigkeit in allen drei Disziplinen. Als Grundlage für die drei Disziplinen dient eine breite und fördernde Ausbildung, bestenfalls bereits im Kindes- und Jugendalter – aber auch das Verständnis der eigenen Sportart, sprich der sogenannten Belastungsstrukturen und des Anforderungsprofils.

Triathlon-Tipps: Hand aufs Herz: Worin unterscheiden sich Kicker und Dreikämpfer in den konditionellen Anforderungen?

Weich: Der größte Unterschied ist die Bewegungsform: Ballsportler sind stets azyklisch unterwegs, das heißt ihre Fortbewegung oder in diesem Fall die Spielweise unterliegt nicht demselben Muster, sondern resultiert eher in einem stetigen Wechsel ihrer Bewegungsart und -richtung. Dagegen orientiert sich der Triathlet grundsätzlich zyklisch nach vorne: Die drei Grundsportarten Schwimmen, Radfahren und Laufen zeigen schon bei einfacher Betrachtung als Zuschauer ein wiederkehrendes Muster. Das resultiert jeweils aus dem sportartspezifischen Anforderungsprofil – hat aber auch enorme Auswirkungen auf die Verletzungsproblematik (akut oder chronisch) in beiden Sportarten. Ein weiterer Unterschied ist die Belastungsstruktur, die beim Dreikampf je nach Distanz variiert: Triathlon versteht sich eher als kontinuierlich, Fußball eher als intervallartig.

Triathlon-Tipps: Dann müsste ein trainierter Langdistanz-Triathlet mit einem Profi-Fußballer in Sachen Ausdauer ohne weiteres mithalten können, oder?

Weich: Ja, wenn man beide einen isolierten Ausdauertest wie einen Zwölf-Minuten-Lauf („Cooper Test“) durchführen lassen würde. Dabei wird allerdings nur die „reine“ Ausdauerleistung getestet, deren Entwicklung zwar beim Fußballspiel in Sachen Kondition oberste Priorität hat – aber ohne ausreichende Qualitäten in ballsportartspezifischen Tempowechseln würde ein zentrales Element der individuellen Klasse auf der Strecke bleiben. Daher wird es einem Langdistanz-Athleten zwar gelingen, ohne Probleme ein Spiel „durchzulaufen“ – mangels der eben genannten Fähigkeiten wird er jedoch schon nach deutlich weniger hochintensiven Aktionen ermüden oder diese erst gar nicht in vergleichbarer Intensität (Reaktionsschnelligkeit, Antrittstempo, Sprunghöhe) ausführen können.

Triathlon-Tipps: Wie verhält es sich umgekehrt: Ist ein Fußballer in der Lage, aus dem Training heraus einen Marathon zu laufen?

Weich: Grundsätzlich schon. Aber sowohl das Finish als auch die Zielzeit sind stark vom individuellen Leistungsniveau abhängig. So hätten Spieler auf regionalem Niveau, die wöchentlich ein bis zwei Trainingseinheiten plus Spiel absolvieren deutlich mehr Probleme als überregional aktive Sportler, die oftmals eine gezielte Saisonvorbereitung sowie mehr als zwei Trainingseinheiten plus Spiel leisten. Der große Vorteil – im Gegensatz zum umgekehrten Fall – ist, dass Fußballer in ihrem Training eine gewisse Basis an Ausdauertraining mitbringen, die ausreicht, um dem Anforderungsprofil eines Marathons gerecht zu werden.

Nach meiner Erfahrung ist es allerdings vorteilhaft, sich diesem Ziel anzunähern und im Vorfeld mit adäquaten Regenerationsmaßnahmen und Ernährungsstrategien auseinanderzusetzen. Schließlich sprechen wir bei einem Lauf über 42 Kilometer von einer Belastungsdauer, die die eines Fußballspiels bei weitem übersteigt. Trainingstechnisch hat es auch für einen Profi-Fußballer Sinn, seine gewohnte Strecke über rund zehn Kilometer über mehrere Wochen auf bis zu 25 oder gar 30 Kilometer in kleinen Schritten zu steigern, um den Körper sowohl physisch als auch mental an die anstehende Dauerbelastung zu gewöhnen. Dabei gilt die goldene Regel des Ausdauersports: „Nicht die Distanz tötet, sondern die Intensität.“

Mehr Informationen zu Athletiktrainer Christian Weich gibt es hier.