Laufen nach Gefühl: Warum es sich lohnt auf technische Hilfsmittel zu verzichten

Einfach mal laufen. Ab und zu ohne GPS-Uhr zu trainieren, schult das Tempogefühl. Und das macht nicht nur Spaß, sondern im Wettkampf unter Umständen auch schneller.

Mann in Sportklamotten gekleidet schaut auf seine Smart-Watch.
Es lohnt sich auch mal ohne technische Hilfsmittel Laufen zu gehen.

Triathleten sind Technik-affin. Das beginnt beim wasserdichten MP3-Player fürs Schwimmtraining, zieht sich über elektronische Schaltung und Wattmessgerät auf dem Rad und hört bei der High-tech-GPS-Uhr fürs Laufen noch lange nicht auf. Akribisch werden Kilometersplits und Pace getrackt, die Herzfrequenz gemonitored und alles fein säuberlich gesammelt oder mit der Sport-Community geteilt. Doch ist das wirklich von Vorteil?

Für das ständige Datensammeln spricht, dass man im Triathlon für drei Disziplinen trainiert. Das kostet Zeit, die die meisten neben Job, Familie und Freunden nur sehr begrenzt haben. Deshalb ist es wichtig, das Training, das man absolvieren kann, so zu gestalten, dass man den maximalen Effekt bei minimalem Verletzungsrisiko herauszieht. Besonders beim Laufen, wo die Belastung für Gelenke und Kreislauf am höchsten ist. Das geht nur, wenn man sich innerhalb seiner individuellen, festgelegten Bereiche bewegt. Und die lassen sich am einfachsten und genausten mittels der kleinen technischen Helfer einhalten.

Warum aber lässt der mehrfache Ironman-Vizeweltmeister Andreas Raelert dann regelmäßig den Computer zuhause und freut sich die dreifache Ironman-Gewinnerin über gelegentliche Trainings „ohne Vorgaben“? Weil Körpergefühl für Ausdauersportler wichtig ist.

Besseres Rennen dank Gefühl

„Wer seinen Körper kennt, der kann sich jeden Lauf und jedes Rennen richtig einteilen. Gerade im Wettkampf wollen wir im Ziel stehen und sagen können: ,Ich habe wirklich alles gegeben!’ Wer sich dabei auf seine Uhr verlässt und nach einer bestimmten Pace rennt, der läuft nicht nur Gefahr in eine Fehlerquelle zu tappen. Eventuell wird das eigentliche Potential auch gar nicht ausgeschöpft, oder man rennt über seinen Möglichkeiten bis zum unschönen Einbruch“, erklärt Sonja von Opel. Die Laufexpertin und Buchautorin hat 2006 den Ironman in Zürich gefinisht und eine Marathonbestzeit von 2:52 Stunden in ihrer Wettkampf-Vita stehen. Das geht nicht ohne Struktur. Dennoch bezeichnet sie sich als Lebensläuferin. Das heißt, sie legt Wert darauf, regelmäßig nach Gefühl zu laufen. Unter anderem aus einem einfachen Grund: Spaß. Sie glaubt: „Die heutigen GPS-Uhren sind Segen und Fluch zugleich.“

Besser Zeiten ohne Laufuhr

Als sie 2003 mit dem Laufen anfing, habe sie noch ihre Strecken mit dem Rad vermessen und per Tipp-Ex die Kilometer auf der Hausrunde markiert, um Anhaltspunkte für die Geschwindigkeit zu bekommen, erinnert sie sich. „Als ich dann meine erste GPS-Uhr beim Laufen trug, fühlte ich mich wie im Himmel. Das Problem ist aber: Irgendwann ist ein Lauf nur noch ein guter Lauf, wenn er unter einer bestimmten Kilometerzeit stattfindet.“

Natürlich ist es wichtig, so räumt sie ein, bei gewissen Einheiten, zum Beispiel Tempodauerläufen oder Intervallen, nach konkreten Vorgaben zu trainieren, um eine bestimmte Zielzeit im Wettkampf zu schaffen. Dennoch findet Sonja von Opel es wichtig, seinem Körper beim Laufen zuzuhören. „Wer das tut und neben den nackten Zahlen auch auf seinen Puls achtet, weiß, wie sich das Laufen im lockeren Bereich und an der Schwelle anfühlt“. Wer Atemrhythmus und Schrittfrequenz zu einem Takt verschmelzen lassen kann, der ihn nicht übersäuern lässt, der kann sich im Wettkampf ganz ohne Blick auf die Uhr von seinen guten Ergebnissen überraschen lassen. Vor allem, weil im Rennen manchmal schlicht Instinkt gefragt ist: Geht man das Tempo des Dauergegners aus dem Konkurrenzverein mit, kann man ihn sogar abschütteln oder sind die Beine so schwer, dass man lieber etwas langsamer machen sollte? Wer hier nur auf die Uhr starrt, verschenkt unter Umständen jede Menge Möglichkeiten, seinen Wettkampf zum Besten zu gestalten.

Doch lieber mit Uhr laufen? Hier erfährst du auf was du beim Kauf achten solltest. 

Laufen nach Gefühl. So geht’s:

Es gibt gute Gründe, um die Uhr beim Lauftraining auch mal zuhause zu lassen. Sonja von Opel empfiehlt, schnelle Einheiten wie Tempodauerläufe an der individuellen aeroben-anaeroben Schwelle und Intervalltraining mit Belastungen über dieser Schwelle mit technischer Kontrolle zu absolvieren, um eine Ahnung davon zu bekommen, ob man für sein persönliches Zeit-Ziel im richtigen Korridor trainiert. Auch bei langen Läufen rät sie zur Tempo- und vor allem Pulskontrolle, um den Fettstoffwechsel durch langsames Tempo optimal anzusprechen. „Alle anderen Läufe, die ruhigen und lockeren Dauerläufe, können, ja sollen sogar nach Gefühl gelaufen werden“, sagt sie. „Wichtig ist hier nur, dass man sich daran hält, die Atmung nicht zu schnell werden zu lassen, also in einem bestimmten Pulsbereich zu bleiben.“ Um sich auch ohne Uhr orientieren zu können, gibt die Laufexpertin ihren Athleten die folgenden Angaben zur Gestaltung des Tempos mit:

  • Langsamer Dauerlauf
    Tempo: 90 Sekunden langsamer als das 10-km-Renntempo
    Intensität: 70–75% der maximalen Herzfrequenz
    Gefühlte Belastung auf einer Skala von 1 bis 10: 1 bis 2
    Beschreibung: extrem leichtes Tempo, fast zu langsam
    Sprechtest: sehr problemlose Konversation in ganzen Sätzen
  • Ruhiger Dauerlauf
    Tempo: 60 bis 80 Sekunden langsamer als das 10-km-Renntempo
    Intensität: 75–80% der maximalen Herzfrequenz
    Gefühlte Belastung auf einer Skala von 1 bis 10: 3 bis 4
    Beschreibung: leichtes Wohlfühltempo
    Sprechtest: problemlose Konversation in kurzen Sätzen
  • Lockerer Dauerlauf
    Tempo: 30 bis 50 Sekunden langsamer als das 10-km-Renntempo
    Intensität: 80–85% der maximalen Herzfrequenz
    Gefühlte Belastung auf einer Skala von 1 bis 10: 5 bis 6
    Beschreibung: moderates Tempo, das Spaß macht
    Sprechtest: Sprechen wird auf Dauer schwierig aber kurze Sätze gehen noch
  • Zügiger Dauerlauf oder Tempodauerlauf
    Tempo: Halbmarathon-Renntempo
    Intensität: 85–90% der maximalen Herzfrequenz
    Gefühlte Belastung auf einer Skala von 1 bis 10: 7 bis 8
    Beschreibung: hartes Tempo aber an guten Tagen länger machbar
    Sprechtest: nur noch einzelne Worte sind möglich
  • Schnelle oder Tempoläufe
    Tempo: 5-Kilometer-Renntempo
    Intensität: 95–100% der maximalen Herzfrequenz
    Gefühlte Belastung auf einer Skala von 1 bis 10: 9 bis 10
    Beschreibung: extrem hohes Tempo, was nur über eine kurze Distanz gut geht
    Sprechtest: „Kann nicht sprechen!“

Was ist die optimale Schrittfrequenz im Triathlon? Hier erfährst du es.

Laufen ohne GPS-Uhr kann man lernen

Wichtig: Wer jahrelang mit technischen Helfern sportlich unterwegs war, muss unter Umständen erst lernen, nach Gefühl zu laufen. Und das gelingt nur, indem man ohne Blick auf die GPS-Uhr und auch ohne Musik läuft. „Musik im Ohr macht für die Wahrnehmung des eigenen Körpers taub“, erklärt Sonja von Opel. Sich mittels schneller Beats zu pushen, kann manchmal hilfreich sein. Es trägt jedoch nicht dazu bei den eigenen Körper und den individuellen Takt des Laufens besser kennenzulernen. „Daher rate ich gerade Anfängern, nicht jeden Lauf mit Musik zu absolvieren“, sagt Laufexpertin von Opel. „Bei der Atmung sollte man – wenn überhaupt – nur das Ausatmen bewusst gestalten, denn das muss besonders kraftvoll sein. Rein holt der Körper sich ganz von alleine das, was er braucht. Und diesem „Rein“ kann man beim Laufen herrlich lauschen: Wie viele Schritte mache ich zwischen jedem Atemzug, wenn ich langsam, locker, schnell laufe? Wann erhöht sich die Atemfrequenz? Wer einfach mal der Musik des eigenen Körpers zuhört, der schult das eigene Körpergefühl und lernt sich besser kennen.“

An das Gefühl beim Laufen herantasten

Genau deshalb sollte jeder ab und zu einfach ohne Geräte seine Laufrunde drehen. „Unsere Körper sind sensiblen Schwingungen und Schwankungen unterlegen. Wer diese nicht wahrnimmt, der rennt vielleicht ins Übertraining, überhört den Infekt, der sich ankündigt, oder läuft permanent über oder unter seinen Möglichkeiten“, weiß Sonja von Opel. Ein Profisportler sollte seinen Körper in- und auswendig kennen und trotz aller Diagnostik- und Analysemöglichkeiten regelmäßig rein nach Gefühl trainieren. Ein Anfänger muss erst einmal erforschen, wie der eigene Körper funktioniert. Hier ist es besonders wichtig, dem Gefühl viel Platz einzuräumen. „Wer die Sache aber professionell angeht und sich von einem Coach oder einem Plan sagen lässt, wann Zeit für Belastung und Zeit für Entlastung ist, der schafft es bei ausreichender Motivation mit Gefühl und Verstand die nächste Formstufe zu erreichen“, ist Sonja von Opel überzeugt. Und das ist dann ein richtig gutes Gefühl!